Traumdeutung

Träume: Können sie etwas bedeuten?

Träume sind meistens jenseits aller Realität: man kann fliegen, Tote werden lebendig, man wird verfolgt oder findet sich an Orten, die man nicht kennt. Man trifft auf Fantasiefiguren und erlebt die fantastischsten Geschichten. Die meisten Träume sind schnell vergessen oder werden nicht erinnert. Denn der Traum ist auch Hüter des Schlafes. Das heisst, ein aufsteigender, zumeist emotional besetzter Inhalt, der uns aus dem Schlaf wecken könnte (und, wenn er zu stark ist, tatsächlich auch weckt), wird in einen Traum verwandelt und das ermöglicht das Weiterschlafen. Bestimmte Träume weiss man noch Jahre nachher. Andere kommen immer wieder. Zumeist sind es Angstträume, die sich einprägen. Es kann auch sein, dass man sich nie an einen Traum erinnert.

Soll man Träume ernst nehmen?

Die Traumdeutung hat eine lange Tradition. Alte Schriften wie auch das Alte Testament (der Traum von Josef und der Himmelsleiter ) verweisen darauf, dass man den Träumen eine hellseherische Bedeutung zusprach. Traumsymbole füllen ganze Bücher und versuchen den Träumen einen Sinn zu entlocken.

Vergleichbar ist der Traum mit der Poesie. Auch sie bedient sich der Bildsprache und arbeitet mit Mitteln der Verdichtung und Verschiebung. Mechanismen wie wir sie im Traum kennen. Auch Gedichte bedürfen der Entschlüsselung, einerseits durch Einfälle und Fantasien des Lesers oder Hörers und andererseits durch das Wissen um Symbole.

In der psychoanalytischen Arbeit gelten die Träume, neben der freien Assoziation, als Weg zum Unbewussten, als Verbindung zur inneren Welt, zu unbewussten Fantasien, Wünschen und Motiven.

Verletzende, frustrierende Erlebnisse zumeist aus der Frühzeit unseres Lebens, aber auch aktuelle, schmerzliche Eindrücke, versuchen wir zu vergessen, zu verdrängen. Verdrängtes versinkt ins Unbewusste und ist dort weiter vorhanden. Und schafft sich in den Träumen wie auch in verschiedensten körperlichen oder psychischen Symptomen wieder einen Weg zum Bewusstsein, allerdings entstellt. Es wird angenommen, dass die Entstellung im Traum, die mehr oder weniger stark sein kann, dazu dient, die Zensur des Bewusstseins zu überwinden. Da wir bewusst lieber nichts mehr von diesen schmerzlichen Erinnerungen oder Gefühlen wissen wollen.

Die Mechanismen Verdichtung, Verschiebung und die Symbolisierung sind am Werk.

Verdichtung bringt Verschiedenstes zusammen: z.B. eine Frau trägt Brille und Bart und hat struppige, schwarze Haare, was an mehrere Personen erinnert, die etwas Gemeinsames haben oder merkwürdige Schiff-Autos fahren aneinander vorbei und grüssen einander wie Personen. Neben der Lyrik kennt auch die Forschung die Verdichtung: der Forscher nimmt tausende Einzelteile und verdichtet sie zu seiner Theorie. Verdichtung ist auch Boden für die Intuition, aber auch für die Kreativität des Künstlers.

Bei der Verschiebung gelangen Elemente des Traumes in den Vordergrund, die für den verschlüsselten Inhalt gar nicht wichtig sind. Wie z.B. eine mysteriöse Landschaft, in der nichts geschieht oder eine lange Geschichte, in der nur ein Detail zu weiteren Erinnerungen führt. Und umgekehrt kann ein wichtiger Traumgedanke hinter einem unwichtigem Traumteil stecken. Jemand träumte immer wieder von Schuhen, die weggegeben werden. Schuhe bedeuten dieser Person nicht viel. Aber es zeigt sich, durch einen plötzlichen Einfall in der Therapie, dass im frühen Kindesalter ein Geschwister weg gegeben wurde. Die Schuhe ersetzen also das Geschwister. Wenn dann so ein tief verdrängtes Erlebnis ins Bewusstsein kommt, löst dies grosse Betroffenheit aus, evtl. verbunden mit Ängsten und grossem psychischem Schmerz. Deshalb ist es sinnvoll, dies im Rahmen einer Therapie zu verarbeiten.

Der Traum nutzt auch zahlreiche Symbole. Symbolisiert werden die fundamentalen Fakten des Lebens wie Fortpflanzung, der eigene Körper, das Leben mit all seinen Gefühlen und der Tod, wie wir dies auch aus der Mythologie und den Märchen kennen. Die Symbolik muss sich aber immer aus dem Individuellen erklären. Jeder Mensch schafft sich seine Symbole von neuem und diese von ihm eingeführten Symbole sind nicht von ihm und seiner Geschichte zu trennen.Träume stehen immer im Zusammenhang mit dem Leben und dem Umfeld des Träumers, sind Ausdruck seiner inneren Welt, seiner ganz eigenen psychischen Ordnung. Sie sind nicht nur Beweis für das, was ihn antreibt, seine Wünsche und Ängste, sondern auch für alle Erfahrungen, die jemand gemacht hat von frühester Jugend an. Die Bilder und Geschichten in den Träumen enthalten neben Tagesresten und Aktuellem auch Reste der vergessenen Vergangenheit.

Die Träume bringen diese wieder an die Oberfläche, klopfen an unsere Bewusstseinstüre.

Marianne Zweifel, November 2016

Literatur

Freud, S. Traumdeutung, 1900

Freeman Sharpe Ellen, Traumanalyse, 1984

Morgenthaler Fritz, Der Traum, 1986